Der Zwischenschritt: Vom gefloppten Business zur Projektarbeit

Im vorigen Artikel hatte ich ja bereits die Vorgeschichte erzählt, aber wie ich letztendlich ortsunabhängig wurde, schulde ich dir noch. Doch so schnell geht das nicht, hier erzähle ich erstmal den Zwischenschritt, bevor ich so richtig durchstarten konnte.

Vom Angestelltenverhältnis zum Flop-Business

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Gestrandet in Berlin – hier bei meinem Kumpel Satellitenschüssel ausrichten

Nach meiner spektakulären Ausreise aus Russland ließ mich der Gedanke, dass ich bei solchen Arbeitsbedingungen gar nicht erst hätte aus Deutschland ausreisen müssen, nicht mehr los. Also beriet ich mich mit meinen Eltern und auch über Skype mit meiner mittlerweile Ehefrau. Es war klar, dass ich eine andere Lösung finden musste. Das knappe Jahr in Trennung, während dessen ich meine Ausbildung in Berlin noch beendet hatte, war uns schon schwer genug gefallen, von daher konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, drei Monate komplett ohne eine Besuchsmöglichkeit in einem dritten Land zu verbringen. Schließlich entschied ich, mich von der Montagefirma zu trennen.

Ich schrieb dem Chef, dass ich unter den Bedingungen, dass ich nach Usbekisten / Indien fahren soll, aus oben genannten Gründen nicht weiter mit ihm zusammenarbeiten kann. Als Antwort kam, dass das sehr schade sei und ich ohne ihn in Russland wahrscheinlich keine Chance hätte, eine Arbeit zu finden. Das fand ich erstmal sehr frech und überheblich, aber irgendwo hatte er auch recht. Meine bisherigen Bemühungen waren nicht sonderlich von Erfolg gekrönt gewesen. Trotzdem entschied ich, die Herausforderung anzunehmen und dem nun Ex-Chef zu zeigen, dass ich sehr wohl ohne ihn eine Chance hatte.

Doch fürs erste war ich ohne Geld und ohne gültiges Russland-Visum in Berlin gestrandet. Gut, dass meine Eltern mich in dieser schwierigen Zeit finanziell etwas unterstützten, ansonsten hätte ich mir nicht mal einen Döner kaufen können. Ich hatte buchstäblich meine letzten Kopeken für die Umbuchung und den Air-Berlin-Flug von Mailand ausgegeben. Auch gut, dass mein Haus zur Verfügung stand, denn ich hätte sonst nicht gewusst, wo ich leben soll. Ich entschied, bei meiner alten Firma wenigstens vorübergehend wieder als Baustoffprüfer anzufangen und rief den Chef an. Dieser freute sich sehr und meinte, er riefe mich an, sobald er Arbeit hätte. Danach verging eine Woche, ohne dass er anrief, und ich wurde misstrauisch. Schließlich meldete ich mich selber bei ihm und erreichte ihn im Krankenahaus. Ihm war buchstäblich wenige Sekunden nach unserem ersten Gespräch auf einer Baustelle ein 20-kg-schweres Werkzeug aus einer Baggerschaufel auf dem Kopf gefallen. Hätte er keinen Helm getragen, wäre es das gewesen. Aber er befand sich auf dem Weg der Besserung, an normales Arbeiten war dennoch nicht zu denken. Also Pech gehabt.

Aber woher sollte ich nun Geld nehmen? Zuerst begann ich, mein Haus vom Kopf auf die Füße zu stellen, denn mir war so, dass ich noch irgendwo polnisches Geld von früheren Polen-Urläuben hätte. Gesucht, gefunden, und nicht nur polnisches Geld. Alles in allem fand ich umgerechnet 40 € in Zloty sowie etwa 200 € in vergessenen Geburtstags-Kuverts und in meiner alten Geldkassette. Es muss mir während Meiner Lehre nicht schlecht ergangen sein, wenn ich solche Summen einfach vergessen konnte. Aber immerhin schon etwas. Trotzdem musste ich mir schleunigst was überlegen, wo ich Geld für die Versorgung meiner kleinen Familie hernehmen konnte.

Also wieder ins Internet gegangen und nach „Geld verdienen im Internet“ gegoogelt. In meiner Verzweiflung probierte ich einen Roulette-Casino-Trick aus, zum Glück zuerst im kostenlosen Testmodus. Der Trick klang logisch und funktionierte auch, scheiterte aber bei höheren Beträgen, da die Casino-Software eine Einsatz-Obergrenze hatte, die unendliches Verdoppeln des Einsatzes nicht zuließ. Andere Online-Casinos waren mit ähnlichen Sicherheitsmechanismen ausgestattet, sodass ich ziemlich bald eingestehen musste, dass diese Tricks entgegen der im Internet verbreiteten Meinung nicht funktionierten. An Forex-Trading und irgendwelche windigen Rohstoffhandel ging ich nicht ran, dafür bin ich einfach nicht Broker genug. Diese Sache liegt mir einfach nicht. Ich bin eher ein „Breitbandspezialist“, der viel weiß, viele Sprachen spricht und gerne Probleme löst.

Bei unserem allabendlichen Skype-Telefonat erzählte meine Freundin mir irgendwann in der zweiten Woche in Berlin, dass sie auf Facebook die Werbung einer Online-Übersetzungsagentur entdeckt hätte und ich meldete mich kurzerhand dort an. Hierbei half mir die Selbständigkeit, die ich drei Monate zuvor angemeldet hatte. Doch gleich war die Ernüchterung groß: Ich sollte 1 Cent pro Wort bekommen und die einzigen zwei Aufträge in meinem Profil waren gerade mal 300 Wörter lang. Ausbezahlt sollte die Vergütung erst ab 50 € werden, also lagen die 6 € erstmal tot in meinem Profil. Das war es also nicht. Dann stieß ich auf eine andere Seite zum Geld verdienen, die sich mehr auf das Texten spezialisiert hatte. Auch hier unterirdische Bezahlung. Ich erledigte probehalber einen Auftrag für 2,50 €, für den ich etwa 1 Stunde plus anschließender, unbezahlter Korrektur beschäftigt war. Auch das war nicht das, was ich brauchte. Schreiben geht mir eigentlich leicht von der Hand, aber in so engen Grenzen und mit so strengen Vorgaben, das lag mir überhaupt nicht. Also auch das wieder verworfen. Die Beiden Seiten sollten aber später in meiner ortsunabhängigen Entwicklung noch einmal eine Rolle spielen, doch dazu später.

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Business spielen – die Visitenkarten nutze ich allerdings bis heute, habe sie zum Glück sehr neutral gehalten.

Nachdem meine ersten Gehversuche als Freelancer gescheitert waren, entsann ich mich, dass ich ja faktisch ein Unternehmen hatte. Also warum nicht etwas Eigenes versuchen? Ich machte also ein Brainstorming, was ich konnte und welche meiner Fähigkeiten sich eventuell zu Geld machen ließen. Meine wichtigste Fähigkeit ganz klar: Sprachen. Ich hatte mein Abitur mit dem Leistungskurs Englisch gemacht und sowohl im Studium, als auch in der Berufsschule beim technischen Englisch immer geglänzt. Zudem, was wohl noch wichtiger ist, sprach ich russisch mittlerweile ziemlich gut, was meiner einjährigen Praxis mit meiner Freundin/Frau zu verdanken war. Da sie ausschließlich russisch spricht, war ich faktisch gezwungen, die Sprache zu erlernen, damit die Kommunikation funktioniert. Dank meines Talents für Aussprache sprach ich die Sprache mit einem sehr geringen Akzent und war auch in Puncto Wortschatz und Verständnis nahezu verhandlungssicher. Also nahm eine Idee in meinem Kopf Gestalt an: Begleiten von deutschen Geschäftsleuten in Russland.

Die Idee gefiel sofort allen, denen ich sie erzählte und auch eine Google-Recherche ergab, dass es in diesem Bereich wenig Konkurrenz gab. Also setzte ich mich mit frischer Motivation daran und erstellte eine Webseite mit WordPress. Ich entwickelte ein interessantes Geschäftsmodell mit Dienstleistungspaketen und bestellte eine Hucke voller Visitenkarten bei Vistaprint – kurz: ich spielte Business. Hätte ich mich zuerst mal mit der Materie hinter dem Enterpreneurs-Dasein beschäftigt, wäre ich die Sache wahrscheinlich anders angegangen. Aber ich wusste damals ja noch nicht, was ein Enterpreneur ist und außerdem musste es schnell gehen und daher ging es nach der Devise „Selbst ist der Mann“. Die Seite erstellte ich ohne einen blassen Schimmer von Suchmaschinenoptimierung und ohne ausgiebige Recherche. Aber ich war stolz wie Bolle. Schade nur, dass niemand anbiss. Die Facebook-Gruppe führt ein relativ trauriges Dasein, die einzigen Likes, die ich erhalten habe, waren von Freunden und als ich die Seite in einem einschlägigen Forum vorstellte, löste ich einen großen Tumult unter den Russlandkennern aus.

Kurz: Die Idee floppte. Es stellte sich heraus, dass solche Dienstleistungen praktisch jedes bessere Reisebüro anbot, nur eben anders bezeichnet. Das war zwar sehr schade, aber ich musste ja auch nach vorne schauen. Eine Kurzfristige Möglichkeit, Geld zu verdienen, bot sich mir schließlich eher spontan, die Eltern meines Schrauberkumpels zogen mit ihrer Firma um und konnten dabei Hilfe gebrauchen. Dort verdiente ich mir noch den einen oder anderen Euro, bevor ich letztendlich wieder nach Russland flog. Zu Hause angekommen hatte ich dann aber wieder das Problem, dass ich ohne Verdienst dastand. Meine Frau arbeitete damals noch und verdiente umgerechnet etwa 700 €, womit wir mehr schlecht als recht über die Runden kamen.

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Am Flughafen vor dem Abflug nach Moskau

Ich startete einen neuen Versuch und stellte auf einer russischen Jobseite ein Gesuch als KFZ-Diagnostiker ein, da ich mich mit computergestützter Diagnose auskannte der Meinung war, meine Kenntnisse könnten sich als nützlich erweisen. Ich bekam auch prompt ein Angebot von einer Mercedes-Nutzfahrzeugbude, die mich zum Vorstellungsgespräch einlud. Die waren auch ganz angetan, boten mir an, mich auszubilden und sprachen schon den Schichtplan mit mir ab. Nach dem Vorstellungsgespräch sollte ich aber nie wieder was von ihnen hören. Irgendwann besann ich mich wieder auf meine Sprachbegabung und dachte, warum soll ich eigentlich nur Begleitung von Geschäftsläuten anbieten? Gesagt, getan, veröffentlichte ich ein Gesuch als technischer Übersetzer mit Erfahrungen im Anlagenbau. Und siehe da, mich rief eine russische Lüftungsfirma an und bot mir an, ab 1. August ein Projekt am anderen Ende von Moskau zu betreuen.

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Economy-Urlaub mit dem Auto in Polen

Das traf sich gut, denn wir hatten im Juli noch einen Economy-Urlaub an der polnischen Ostsee geplant, den wir auch wie geplant durchzogen. Danach trat ich meine Übersetzerstelle in Selenograd an. Ich musste zwar jeden Tag erst eine Stunde mit Bus und U-Bahn, dann nochmal 1,5 Stunden mit der Eisenbahn und einem zweiten Bus fahren und dieselbe Strecke noch mal zurück, aber wenigstens hatte ich es endlich geschafft: Ich hatte was gefunden! Meine Arbeit dort bestand in der Übersetzung von Bautagebüchern und der Betreuung der deutschen Projektleiter auf der Baustelle, wenn sie mit den russischen Monteuren reden mussten. Zwischendurch hatte ich sehr viel Leerlaufzeit, in der ich vor dem Computer saß und die Zeit totschlug. Im Nachhinein ärgere ich mich, diese Zeit nicht besser genutzt zu haben, aber das alte Bild der Arbeit war noch zu sehr in mir verankert. Ich hatte einfach eine Einstellung, dass sich die Arbeit im im-Büro-Sitzen erschöpft und das gut so ist.

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Panoramablick auf den Strand der polnischen Ostsee bei Jastarnia auf der Halbinsel Hel

Irgendwann gelang es mir, zusätzlich zu meiner Übersetzer-Tätigkeit noch die Verantwortung für zwei Lager zu übernehmen, was sich auch finanziell positiv niederschlug. Aber die Leerlaufzeit wurde nicht wirklich weniger. Ich musste zwar jetzt LKWs in Empfang nehmen und Inventurlisten erstellen, dafür konnte der neue Montagevorarbeiter Deutsch und nahm meine Dienste seltener in Anspruch. Finanziell ging es mir in dieser Zeit nicht schlecht, das Einkommen war für Moskauer Verhältnisse ordentlich und die Belastung war, mal abgesehen von den langen Wegen, überschaubar. Doch bohrte als kleiner Stachel immer der Fakt in mir, dass das nur ein Projekt war und dass es noch nicht sicher war, wie es nach Ende dieses Projekts weitergehen sollte.

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Die schöne Seite der Projektarbeit

Aus langer Weile schaute ich auch das eine oder andere Mal auf der Übersetzungsseite vorbei, die ich bereits oben erwähnt hatte. Und auf Einmal waren da Aufträge drin. Gute Aufträge, etwa 20 € pro Stück und pro Auftrag brauchte ich etwa zwei Stunden. Aus heutiger Sicht ein grottiger Stundensatz, aber damals griff ich mit Freude nach diesem Zusatzeinkommen. Da merkte ich bereits, dass mir das Übersetzen von Texten lag. Doch leider waren diese Aufträge dann wieder zu Ende und ich wartete täglich darauf, dass neue kämen. Ich registrierte mich noch bei anderen Seiten, aber die waren meistens ziemlich tot.

Als im Januar 2014 das Montageprojekt unerwartet zum Stillstand kam stand ich doof da. Man versicherte mir, die Stillstandzeit würde voll bezahlt werden. Also ging ich beruhigt in den Zwangsurlaub. Genau in dieser Zeit waren wieder Aufträge auf der Seite aufgetaucht, Bedienungsanleitungen für 70 € das Stück. Das kam mir gerade recht und ich begann, im Home-Office zu arbeiten. Ende Januar  fuhren meine Frau und ich für eine Woche nach Italien, während ich auf das neue Russland-Visum wartete, und als ich wieder nach Russland kam, kam auch wieder Bewegung in das Montageprojekt. Ich fuhr jetzt wieder täglich dorthin, um die Übergabe von der mittlerweile gekündigten deutschen Firma an meine russische Firma zu managen. Dabei wurde mir dann auch gesagt, dass die Stillstandzeit nicht bezahlt wird und dass ich von nun an nur noch als Lagerist bezahlt würde, nicht mehr als Übersetzer. Großartig! Das war der Moment, wo ich entschied, nie wieder für russische Firmen Projektarbeit zu machen. Ich verlangte trotzdem für die Stillstandzeit einen Ausgleich und als dieser nicht kam und ich immer weiter hingehalten wurde, nahm ich einen teuren Akku-Schlagschrauber von Hilti als Pfand und beendete die Zusammenarbeit. Den Schlagschrauber habe ich bis heute, da die Firma sich nicht entschließen konnte, mich auszubezahlen.

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Lüftungsrohre über Lüftungsrohre – sie waren fast ein halbes Jahr Inhalt meines Lebens

Kurz vor Ende der Zusammenarbeit hatte mir ein befreundeter Vorarbeiter erzählt, seine Schwester arbeite als Freelance-Übersetzerin in Internet und verdiene genug Geld, um 1-2-mal im Jahr nach Mexiko und in die USA zu fliegen. Ich bat ihn, herauszufinden, wo sie denn ihre Aufträge hernimmt, und er brachte mir kurz darauf die Webadresse einer Übersetzer-Jobbörse mit. Das war letztendlich der Schlüssel zum Erfolg und der Weg aus der Krise.

Willst du wissen, wie ich daraufhin so richtig ortsunabhängig durchgestartet habe? Dann freue dich auf den dritten Teil in einem der nächsten Artikel!

P.S. Kleine Werbung in eigener Sache: Ich habe leider von dir noch kein Feedback für meine neue Rubrik „Anleitungen“ erhalten. Wenn es eine Sache gibt, die du an deinem Auto gerne selbst reparieren würdest, aber nicht weißt, wie, dann würde ich mich über eine kurze Mail sehr freuen. Sollte das Thema populär genug sein, werde ich eine entsprechende Anleitung erarbeiten und hier online stellen.

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