Was mein Umzug nach Russland mit Ortsunabhängigkeit zu tun hat – Vorgeschichte

Ich hatte ja bereits beschrieben, wie ich eigentlich dazu gekommen bin, meinen Lebensmittelpunkt dauerhaft nach Russland zu verlegen. Aber was hat ortsunabhängiges Arbeiten damit zu tun? Muss ich im Ausland zwingend ortsunabhängig sein? Um das zu verstehen, musst du die Vorgeschichte kennen. Die will ich dir hier erzählen.

Als ich nach Abschluss meiner Ausbildung Ende Januar 2013 entschied, zum 01. März nach Russland umzuziehen, wusste ich noch nicht einmal, was Ortsunabhängigkeit eigentlich ist. Da hatte ich noch nicht von Webworkern und Bloggern gehört. Bloggen war zu dieser Zeit in meinen Augen sowieso bloß eine temporäre Modeerscheinung. Und es hörte sich zwar interessant an, im Internet Geld zu verdienen, aber eine oberflächliche Google-Recherche förderte nur irgendwelche Casinotricks und windige Forex-Trading-Geschichten zutage. Also machte ich mich daran, einen möglichst guten Job in Russland aufzutun, möglichst noch vor meinem Umzug.

Ehrlich gesagt, hatte ich schon ein halbes Jahr vorher angefangen, mich mit der Jobsuche zu beschäftigen. Dafür war ich sogar eine Woche extra zu meiner Freundin nach Russland geflogen, um für eventuelle Bewerbungsgespräche zur Verfügung zu stehen. Da war ich jedoch reichlich naiv gewesen, die deutschen Firmen wie Hochtief und Strabag, bei denen ich reinkommen wollte, wollten zunächst erstmal gar nichts von mir wissen. Selbst über Beziehungen hätte ich höchstens was in Sotschi kriegen können, aber nicht in Moskau. Aus der Traum vom gut bezahlten Expat-Dasein in einer deutschen Firma. Aber ich war dabei auch wirklich ungeschickt vorgegangen, hätte ich mehr Zeit gehabt, ich hätte zuerst in Deutschland versuchen müssen, in die Firma reinzukommen. Dann irgendwann hätte ich dem Chef gesteckt, dass ich gegen eine Delegierung nach Russland nichts einzuwenden hätte und dann hätten sie mich für ein Heidengeld delegiert.

Montagebaustele

Montagebaustele

Aber in meiner Verliebtheit konnte mir der Umzug nicht schnell genug gehen. Also suchte ich verzweifelt von Berlin aus im Internet nach Stellen. Und wurde in einem einschlägigen Forum Fündig: Eine deutsch-russische Montagefirma mit einem Deutschen als Chef und mit Sitz nahe Moskau schrieb mich an und bot mir eine Stelle als Montagebauleiter an. Besser als nichts, dachte ich mir, und sagte zu. Wie sagte mein Vater immer: Was hat ein Bauleiter mit einem Zitronenfalter gemeinsam? Der Zitronenfalter kann auch keine Zitronen falten. Anlagenmontage, so schwer kann das ja nicht sein. Zeichnungen lesen und verstehen hatte ich in der Lehre gelernt, mit Schlagschrauber und Ratschenschlüssel hatte ich in der Autowerkstatt Erfahrungen gemacht und mit Elektrik kannte ich mich vom Studium her auch ein Bisschen aus. Also, dachte ich, ein bisschen Pokerface machen in der ersten Zeit und ich find mich schon rein.

Mit dem Chef hatte ich im Folgenden regen Telefon- und E-Mail-Kontakt und er beantwortete mir alle Fragen bezüglich Arbeitsrechts. Um in Russland ohne Daueraufenthaltsgenehmigung arbeiten zu können, braucht man eine Arbeitserlaubnis. Die zu bekommen ist so gut wie unmöglich, also würden wir ein Schlupfloch nutzen: Ich müsste mich in Deutschland als Kleinunternehmer selbständig machen und würde dann in Russland als Subunternehmer mit Business-Visum in Erscheinung treten. Damit schlüge ich zwei Fliegen mit einer Klappe, das russische Arbeits- und Aufenthaltsrecht sowie das deutsche Steuerrecht. Ich sollte also einfach meine Rechnungen so stellen, dass ich keine Steuern zahlen muss, die Differenz würde er mir so auszahlen. Gesagt, getan, habe ich mich als „Industrie- und Projektbegleitung“ selbständig gemacht (Vorschlag des Chefs).

Mit dieser Aussicht war ich erstmal deutlich ruhiger und blickte dem Umzug ohne Bauchschmerzen entgegen. Bis mich der Chef zwei Tage vor Abreise anrief, und mir eröffnete, mein erstes Projekt würde in Sibirien sein. Auf einmal kam mir Sotschi schon gar nicht mehr so schlimm vor. Diese Eröffnung warf mich zurück. Aber gut, dachte ich, das ist die erste Zeit, wenn ich mich bewähre, kriege ich bestimmt Projekte näher an Moskau. Dann eröffnete er mir, ich solle, statt mit dem Auto, wie eigentlich geplant, mit dem Flugzeug nach Moskau fliegen, er übergibt mir am Flughafen einen Laptop und ein Diensttelefon und ich fliege sofort weiter. Ich würde meine Freundin also nicht mal auf Stippvisite zu sehen bekommen. Sie heulte Rotz und Wasser, als ich ihr das eröffnete.

Dann, genau einen Tag vor Abreise, eröffnete er mir, ich könne doch mit dem Auto fahren, Sibirien wäre gestorben und man würde mich am Montag anrufen, um mir zu sagen, wo ich hinkäme. Also meinen Mitfahrer, dem ich am Vortag abgesagt hatte, angerufen und gesagt, dass ich doch fahre. Glücklicherweise hatte er noch nichts Neues gefunden. Dann fuhren wir los. Warum ich letztendlich nicht mit dem Auto, sondern mit dem Zug in Moskau ankam, erzähle ich in einem der nächsten Artikel. Allerdings stellt das den Anfang einer Kette von Schicksalsschlägen und Unglücken dar, die mich das ganze Jahr 2013 über begleiten sollte – kurz: eine Pechsträhne.

Der etwas unglückliche Start in Moskau

In Moskau angekommen, erwartete mich meine Freundin wie der wandelnde Tod, und, wie ich erfahren musste, hatte sie mehrfache Krankenhausaufenthalte hinter sich, die sie mir aus Rücksicht verschwiegen hatte. Im Folgenden war sie fast jede Woche bei irgendwelchen Ärzten, von denen keiner mit Gewissheit sagen konnte, was sie eigentlich hatte. Zu allem Überfluss wurde ich eine Woche nach meiner Ankunft nach Nischnij Nowgorod geschickt, 500 km von Moskau entfernt. Also meine kranke Freundin war in Moskau, ich in Nowgorod. Im Vorfeld rief mich nicht etwa der deutsche Chef an, sondern eine Russin und teilte mir nur mit, ich würde dort „im Paar arbeiten“. Es stellte sich heraus, dass ich, statt als Bauleiter oder wenigstens Übersetzer als Monteur arbeiten sollte. Und zwar zu zweit mit einem russischen Jungmonteur. Und das 10 Stunden am Tag. Und abends musste ich mit dem Russen Wodka saufen, damit er mich akzeptiert.

Nischnij Nowgorod

Nischnij Nowgorod, meine erste Dienstreise in Russland

Die Arbeit war stupide und hart: schleppen, aufräumen, flexen, schweißen und so weiter. In diesen drei Wochen lernte ich schweißen, das ist doch mal was. Und ich bekam ein VW-Werk von innen zu sehen, auch nicht von der Hand zu weisen. Aber Fakt ist: ich bin einfach kein Monteur und vieles von dem, was ich da machte, machte ich zum ersten Mal. Das bekam der Bauleiter des Auftraggebers auch ziemlich schnell spitz und nahm mich gesondert auf den Kieker. Bald entschied er, mich „testen“ zu müssen, er trug mir auf, einen Schaltschrank komplett alleine zu montieren und anzuschließen, inklusive Halterung bauen. Also, die vorhandene Halterung so umbauen, dass sie am Doppel-T-Träger unter der Decke hält.

Ich bekam es auch irgendwie auf die Reihe, aber wohl war mir dabei überhaupt nicht. Zumal ich ungesichert auf einer Euro-Palette auf dem hochgefahrenen Gabelstapler arbeiten musste. Ich kann dir sagen, das war mir überhaupt nichts. Nach drei Wochen eröffnete mir der Bauleiter, dass er mich nicht mehr haben wolle und mein Chef berief mich zu sich ab. Ich fuhr also nach Wladimir ins Büro der Firma und musste mich erstmal rechtfertigen. Dann bekam ich zu hören, ich wäre da geparkt gewesen, weil sie nicht recht wussten, wohin mit mir. Sie kürzten mir auch noch den Stundensatz auf 5 € die Stunde. Schließlich fanden sie eine andere Montagebaustelle, wo es wohl Stress mit dem deutschen Auftraggeber gab. Da sollte ich hin und verdeckt ermitteln, woran es lag. Das klappte auch ganz gut, aber nach einer Woche war da leider auch wieder Schluss, weil das Projekt eingestampft wurde. Also zurück nach Moskau und warten, ob mir jemand ein Projekt gibt.

materialprobleme

Der Streit war um verzogene Rohre entbrannt

 

Warten auf Arbeit

Im Mai riefen sie mich erneut nach Wladimir, wohl gemerkt nach 3 Wochen ohne Arbeit, und eröffneten mir, ich würde nach Indien gehen. Gutes Geld, gutes Hotel, aber halt Indien. Und wieder weg von meiner Familie. Was sollte ich machen, wir hatten annähernd kein Geld mehr, also sagte ich zu.

Zu Indien kam es dann doch nicht, stattdessen sollte ich nach Usbekistan. Allmählich begann ich mich zu fragen, warum ich eigentlich meine Arbeit in Deutschland aufgegeben hatte. Ich hätte meine Freundin sogar öfter zu sehen bekommen als so. Zumal ich es neben meiner deutschen Arbeit auf die Reihe gekriegt hatte, fast monatlich nach Russland zu fahren. In Usbekistan sollte ich aber drei Monate am Stück bleiben. Wieder hatte ich keine Wahl und fügte mich in mein Schicksal.

Ich bekam von der Firma eine Visa-Einladung und 170 $ und sollte mich also um mein Visum für Usbekistan kümmern. Dann sollte ich zum Ende meines Russland-Visums nach Usbekistan fahren und dort erstmal sitzen und warten, dass die Arbeit losgeht. Wenigstens wären Kost und Logis kostenfrei und ich hätte eine Villa mit deutschen Fernsehkanälen und Pool für mich. Das Geld, was ich, wohlgemerkt erst ab Beginn des Projekts, verdienen würde, war nicht schlecht, aber wie gesagt, die Frage, warum ich nicht einfach in Deutschland geblieben war, bohrte immer mehr in mir.

wladimir

Wladimir, 200 km von Moskau – nicht viele angenehme Erinnerungen

Drei Tage vor Ende meines Russland-Visums fuhr ich in die Usbekische Botschaft, um zu erfahren, dass meine Einladung nicht in Moskau, sondern nur in Berlin gilt. Ich konnte das Visum also nur in der Usbekischen Botschaft in Berlin machen. Chef angerufen, er freute sich riesig und sagte, dann musst du halt nach Berlin fliegen. Also am letzten Gültigkeitstag meines Visums für Russland einen Abendflug gebucht und los.

Ich hatte ja eingangs die Pechsträhne erwähnt, hier schlug sie wieder voll zu. Ich war mit reichlich Zeitreserve aus dem Haus gegangen, um den Flug auch sicher zu bekommen. Auf meiner Einfallstraße war aber ein Mords-Stau wegen eines schweren Unfalls. So kam es, dass wir auf einer Strecke, die sonst 30 Minuten in Anspruch nimmt, 2 Stunden im Bus saßen. Dann verpasste ich, wie soll es auch anders sein, den Airport-Express und kam noch eine halbe Stunde später an. Ich keulte durch die etlichen Terminals von Scheremetjewo und erreiche 20 Minuten vor Abflug den Aeroflot-Schalter. Tja, das geht nicht mehr, sagte mir die freundliche Dame. Gar nicht? Nein, nur, wenn Sie Ihr Gepäck hierlassen. Da hatte ich meinen Laptop, meine externen Festplatten, meine Kleidung, eigentlich alles drin, war also keine Option. Zumal ich ja von Berlin aus sofort nach Usbekistan fliegen würde.

Also zum Umbuchungsschalter gehetzt, solange mein Flieger noch nicht abgehoben war. Hinterher, so wurde mir versichert, wäre eine Umbuchung ausgeschlossen. Berlin? Erst morgen früh wieder. Bis dahin wäre aber mein Visum ausgelaufen, große Probleme, beim Flughafenkonsul vorsprechen, etc. Da kam mir eine Idee: Irgendwo in die EU, Hauptsache raus aus Russland. Mailand in 50 Minuten? Auf geht’s! Ich war zwar absolut klamm, aber meine DiBa-Visakarte meinte es gut mit mir und ließ die Zahlung durchgehen. 220 € draufgezahlt… Noch am Gate, während ich auf das Einsteigen wartete, buchte ich für den nächsten Morgen einen Air-Berlin-Flug von Mailand nach Berlin, mit derselben Visakarte. In Mailand musste ich dann aber erfahren, dass die Zahlung nicht bestätigt worden war. Also hab ich mein letztes Bisschen Bargeld zusammengekratzt und das Ticket nachgezahlt. Gut, dass ich noch die 170 $ in der Brieftasche hatte. Gegen Mittag war ich dann endlich in Berlin.

Willst du wissen, wie die Story weiterging? Die Fortsetzung folgt im nächsten Artikel.

 

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